Sozialer Bereich: Bleiben oder gehen?
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Sozialer Bereich: Bleiben oder gehen?
von Ren. am 26.09.2025 08:59Hallo zusammen da draußen,
ich ringe gerade ziemlich mit mir und wollte einfach mal hören, ob es hier Menschen gibt, die ähnliche Gedanken oder Erfahrungen haben. Ich hoffe, dass mein Foreneintrag an der richtigen Stelle ist. Ich hatte einfach das Gefühl, dass es ein wenig zu umfangreich für eine Statusmeldung ist (habe aber vorher noch nie ins Forum geschrieben, also hoffe ich, dass das alles so passt, wenn nicht, schieben wir es einfach woanders hin xD).
Ich arbeite seit Jahren im sozialen Bereich – eigentlich mein Leben lang, wenn man es so nennen will, denn etwas anderes habe ich nie gelernt oder gemacht. Erst mehrere Jahre in einer Kita/Krippe und seit 3 Jahren in einer Schulkindbetreuung mit ca. 93 Kindern in meinem Jahrgang (aufgeteilt auf 4 Erwachsene). Der Beruf war für mich immer mehr als nur Arbeit, sondern auch Berufung. Aber die aktuellen Rahmenbedingungen haben sich für mich so zugespitzt, dass ich schweren Herzens an einem Punkt bin, an dem ich ernsthaft darüber nachdenke, komplett auszusteigen.
Das fühlt sich ehrlich gesagt ziemlich beängstigend an. Einerseits merke ich, wie sehr mich die Belastungen und Strukturen im Alltag auffressen. Andererseits frage ich mich: Was bleibt mir eigentlich, wenn ich gehe? Ich habe nichts anderes gelernt, nichts anderes bisher ausprobiert – und trotzdem halte ich die Situation gerade kaum noch aus.
Deshalb meine Frage: Wie geht es euch damit?
- Hat jemand von euch den Schritt raus aus dem sozialen Bereich schon gewagt – und wenn ja, wohin ging der Weg?
- Oder habt ihr es geschafft, euch innerhalb des Feldes neu zu orientieren, vielleicht durch Weiterbildung, ein anderes Arbeitsumfeld oder eine Spezialisierung?
- Wie habt ihr damals diese Unsicherheit und die Angst vor dem Neuanfang erlebt?
Sehr, sehr gerne könnt ihr auch einfach mal erzählen, was ihr generell so beruflich macht, wenn ihr möchtet. Ich bin ein kreativer und offener Mensch, aber gleichzeitig fühle ich mich schnell eingeschüchtert von der Fülle der Möglichkeiten da draußen – man weiß ja oft gar nicht so genau, wie Berufsbilder in der Praxis tatsächlich aussehen. Vielleicht hilft es ja, mal ein bisschen über den eigenen Tellerrand zu schauen.
Ich fände es sehr, sehr cool, wenn wir uns hier ein bisschen austauschen könnten. Vielleicht kann man voneinander lernen oder sich wenigstens verstanden fühlen.
Danke schon mal an alle, die ihre Erfahrungen teilen.
Eure Ren. <3

Re: Sozialer Bereich: Bleiben oder gehen?
von antares am 26.09.2025 09:37Hey Ren,
ich selbst arbeite zwar nicht im sozialen Bereich, aber ich arbeite im medizinischen Bereich. Bzw. ich arbeite jetzt ab Oktober in der Forschung, da hab ich dann nicht wirklich viel mit vielen Menschen zu tun, aber ich weiß dennoch von vorher, wie es im medizinischen Bereich (Krankenhaus etc.) abläuft und da kann es sich schnell ähnlich anfühlen, wie das was du beschreibst.
Da ich mich selbst nicht in ähnlicher Situation befinde, gehe ich gar nicht so sehr auf meine Erfahrungen ein etc. aber ich habe dennoch ein paar Gedanken dazu:
Wenn du wirklich der Meinung bist, dass es dich nicht mehr erfüllt und du dich eher kaputtmachst für etwas, was dir selten bis nie ein angenehmes Gefühl zurück gibt, dann finde ich ist es eigentlich immer an der Zeit etwas zu ändern. Da kommt es natürlich in erster Linie darauf an, ob du Rücklagen hast oder für eine gewisse Zeit etwas anderes machen könntest, um genügend Geld zu haben, eine Zeit zu überbrücken, in der du dich nach etwas anderem (was dich erfüllt) umschaust oder ggf. eine Weiterbildung / Umschulung / Ausbildung etc machst.
Ich bin starker Verfechter davon, "neu" anzufangen, wenn man nicht mehr glücklich ist. Nichts ist meiner Meinung nach schlimmer, als sich wo rein zu pressen, wo man nur dran zugrunde geht. Und da du noch jung bist (laut Profil ) ist das denke ich auch kein Problem! Das größte "Problem" wäre einfach, die Lebenskosten erstmal weiter zu decken. Ich habe mit 30 noch eine neue Ausbildung nach dem Studium angefangen, weil ich in einen anderen Bereich wollte und bereue das absolut nicht. Dazu muss ich sagen, dass ich extra eine bezahlte Ausbildung gesucht habe - das könnte natürlich dann auch wichtig sein. Wie gesagt, Finanzielles muss geklärt sein. Aber sollte das geklärt sein, finde ich gibt es überhaupt keinen Grund nicht etwas neues auszuprobieren!
Deswegen.. du könntest nochmal in dich reinhören, vllt auch mal brainstormen was dich sonst so interessiert und für was du vllt eine neue Leidenschaft entwickeln könntest und dich dann da mal informieren etc.
Ich hoffe auf jeden Fall, du findest etwas, was dir wieder mehr Lebensfreude bringt! :)
Re: Sozialer Bereich: Bleiben oder gehen?
von caliginous am 26.09.2025 15:44Hallöchen,
Ich arbeite selbst im sozialen Bereich (Erzieherin im Kindergarten) und bin allerdings derzeit in Elternzeit. Ich kann absolut verstehen, was du damit meinst wenn du sagst, dass es einfach nur belastend ist. Ich liebe meinen Job und es ist wahnsinnig schön, was einem die Kindern zurückgeben. Nichtsdestotrotz, ist es aber auch ein sehr anstrengender Beruf, der die volle Aufmerksamkeit fordert und regelmäßig, zumindest meine, soziale Batterie einfach leergezogen hat.Ich freue mich natürlich trotzdem wieder darauf, nach meiner Elternzeit einsteigen zu können, muss aber auch zugeben, dass ich mich vor allem darauf freue, weil ich nur in Teilzeit arbeiten werde.
Was du dich erstens vielleicht nochmal hinterfragen kannst, ob es tatsächlich der Beruf oder das Berufsfeld an sich ist, dass in dir den Wunsch weckt, neu anzufangen. Oder ist es nur die aktuelle Einrichtung für die du arbeitest? Ich habe selbst vier Jahre lang in einer städtischen Einrichtung gearbeitet, in dem die Kinderzahl ständig gestiegen ist, unsere Gruppen nur unnötig vollgestopft wurden und das Personal (dank unserer toxischen Leitung) kam und wieder ging. Es waren Arbeitsbedingungen, die mir die Lust und Kraft für meinen Job genommen haben, sodass ich letztendlich gemerkt habe - ich muss da weg. Mir hat der wechseln in einen kleinen Gemeindekindergarten wahnsinnig gut getan und mir die Lust auf meinen Job zurückgegeben.
Zweitens sehe ich das ganz wie antares - für einen Neuanfang ist es nie zu spät :) Ja, auch deine finanziellen Auslagen müssen natürlich gegeben und geklärt werden, aber solltest du dich dafür entscheiden etwas Neues anzufangen, dann go for it! Ich kann dir als persönliches Beispiel meine Mama nennen, die jahrelang unzufrieden mit ihrem Job war, in den man sie damals eben gezwungen hatte. Mit 40 hat sie dann den Entschluss gefasst, noch einmal eine Ausbildung zu beginnen und ist jetzt absolut glücklich, dass sie es gewagt hat, obwohl sie damals auch unendlich viele Sorgen hatte. Trotzdem hat sie es durchgezogen und ja, vielleicht war es nicht immer einfach, aber der Weg ist das Ziel. Ich kann dir also nur ans Herz legen, was sich meine Mama nach ihrem Abschluss auf ihr Handgelenk hat tätowieren lassen - you can.
Angst ist normal und auch gut, aber es bringt dir nichts, wenn du völlig unglücklich bist und es sich auf dein Privatleben auswirkt. Letztendlich musst du das tun, was sich für dich richtig anfühlt, egal welchen Weg zu wählst :)
Ich hoffe, du kannst mit meiner Antwort etwas anfangen und vielleicht ein wenig Hilfe daraus ziehen. Solltest du noch weitere Fragen haben, kannst du dich auch gerne auch bei mir melden :)
i'm so far from the line
i'm too deep in my mind
Re: Sozialer Bereich: Bleiben oder gehen?
von Ren. am 27.09.2025 08:50Ein guten Morgen von mir und vielen Dank euch beiden für eure ausführlichen Antworten!
@antares: Deine Worte haben mich sehr berührt, vor allem dein Gedanke, dass es nie richtig ist, sich in etwas hineinzupressen, das einen langfristig kaputtmacht. Ich merke ja auch selbst, dass ich immer wieder an diesem Punkt lande – ich halte durch, bis es nicht mehr geht, und frage mich dann, wie lange das noch gesund sein kann. Dass du mit 30 nochmal neu angefangen hast und es nicht bereust, macht mir tatsächlich Mut. Ich denke, dieser Gedanke, dass man 'zu spät dran' sein könnte, sitzt bei mir unbewusst ziemlich tief, auch wenn ich mir immer wieder versuche einzureden, dass ich alle Zeit der Welt habe...
@caliginous: Auch deine Antwort hat mir echt viel gegeben. Vor allem die Frage, ob es wirklich der Beruf an sich ist oder nur die aktuelle Einrichtung. Ehrlich gesagt hadere ich damit schon länger, weil ich meine Arbeit an sich liebe – die Arbeit mit den Kindern, das Kreative, das Teilhaben an ihren Lebenswelten. Aber die Strukturen, die Rahmenbedingungen und die ständige Überforderung rauben mir irgendwann alles, was mir eigentlich Freude macht. Ich hatte einige Wochen zuvor noch in den Statusmeldungen davon erzählt, dass ich mich auf eine neue Stelle beworben habe, doch leider wurde daraus am Ende nichts, da ich das Risiko eines Zeitvertrages finanziell nicht eingehen konnte und ich aufgrund meiner mobilen Situation (leider habe ich im Moment kein Auto) ziemlich eingeschränkt bin. Auch innerlich merke ich da immer sehr schnell, dass meine Gedanken schon ganz schön pessimistisch sind und ich nicht wirklich die Hoffnung habe, dass es 'woanders besser wird'. Aber das Beispiel deiner Mama – wow, das ist richtig richtig stark! Ich merke ja jetzt schon, wie viel Überwindung es mich kostet, nur darüber nachzudenken. Darüber zu lesen, wie jemand diesen Schritt wagt, macht mir einfach gerade richtig Mut.
Insgesamt merke ich gerade, dass mir der Austausch hier total gut tut. Ich fühle mich oft so allein mit diesen Gedanken, weil viele um mich herum den Job entweder einfach 'weitermachen', egal wie schlecht es ihnen geht, oder gar nicht verstehen, warum man etwas ändern will (was sie ja auch nicht müssen, ich möchte das auf gar keinen Fall so hinstellen, dass sich alle so fühlen müssen wie ich xD). Unter meinen Kolleg:innen erlebe ich zwar viel Verständnis, dass es schlimm ist, doch ich glaube, viele fühlen sich selbst sehr gefangen in der Situation. Deswegen tut mir so ein 'neutraler' Austausch mit Leuten, mit denen ich nicht direkt zusammenarbeite, immer sehr gut. Meine Mutter selbst ist Erzieherin und macht den Beruf schon seit über 25 Jahren. Sie hat nur einmal in ihrem Leben die Einrichtung gewechselt und ansonsten einfach nie darüber gesprochen, ob es ihr manchmal vielleicht genauso geht.
Ein großes Danke also euch beiden nochmal, dass ihr so offen mit mir geteilt habt! Auch wenn die Entscheidung noch immer eine schwere ist, fühle ich mich jetzt schon sehr viel besser, als vorher <3

Re: Sozialer Bereich: Bleiben oder gehen?
von MrsChameleon am 27.09.2025 13:51Hallöchen ihr lieben!
Dieser Blog Eintrag kommt gerade wie gerufen. Ähnlich wie du Ren, struggle ich gerade sehr zwischen dem, was ich einst so geliebt habe und dem, was da noch kommen mag - und damit sind wir tatsächlich nicht die Einzigen. Immer mehr Stimmen werden lauter.. Leute, die ihren Job eigentlich geliebt haben und ihn mittlerweile nur noch als Belastung sehen und bei vielen Außenstehenden ploppt die Frage im Kopf auf: Warum, warum machst du das noch?
Ja, ja warum? Eine Frage, die ich mir auch schon oft genug gestellt habe und vor allem im Moment sehr stark mit mir kämpfe. Vielleicht ist es an der Zeit, einen Neuanfang zu wagen? Doch genau wie du dich fragst: wohin und was? Es ist schwer einen neue Richtung einzuschlagen, wenn eigentlich genau das der Beruf war und ist für den man lebt, dem man irgendwo tief in sich drinnen, ja irgendwo auch jetzt aus Herzen heraus macht. Ich kann es noch nicht einmal genau benennen was mich - und viele meiner Kolleg:innen derzeit so zermürbt. Vielleicht sind wir aber auch alle einfach müde. Müde von den Strukturen. Der zeitaufwändigen Dokumentationsarbeit. Machtkämpfe innerhalb des Teams. Dem Kompromiss mit Trägerstrukturen und der Ohnmacht, wenn Gegebenheiten aus nachvollziehbaren Gründen einfach nicht erfüllt werden können. Zeitintensive Kinder, der Elternarbeit und dem damit einhergehenden ständigen Seilakt zwischen Verständnis und Kopfschütteln - der eigenen Zurückhaltung, professionell zu bleiben, während man am liebsten auf den Tisch hauen würde.
Vielleicht bin ich auch einfach mit meiner Geduld am Ende, also vielleicht doch Zeit und Mut für etwas Neues? Erfüllenderes? Nicht ganz so einfach to be honest oder vielleicht ist es auch nur die Angst für etwas Neues in mir. Doch ich bin und war schon immer ein Overthinker und alle für mich interessanten Wege innerhalb dem Berufsfeld, dass ich doch so sehr liebe, haben Voraussetzungen, die sich über mehrere Jahre hinweg erstrecken. Klar sind wir noch „jung“ aber so jung nunmal auch nicht mehr, wenn man ein fixes Einkommen auf demselben Standard wie jetzt benötigt und noch dazu eine Kinderplanung anstrebt. Aber genug von mir und viel mehr zu dir und euch:
Ich finde die Fragestellung ist es nur die Einrichtung / Das Team unglaublich wichtig. Vielleicht besteht die Möglichkeit eine Hospitation in einer anderen Einrichtung zu machen? Mir hat es auf alle Fälle auch sehr geholfen, Einblicke in andere Häuser zu gewinnen. Wie läuft es da ab? Wie wirken die Teammitglieder dort auf mich? - Einfach um einen Vergleich zu bekommen und man selbst aus dem Strudel des eigenen „hier ist alle so mies“ im Haus heraus zu kommen. Vielleicht gibt es die Möglichkeit, in einem Haus mit weniger Kindern zu arbeiten?
Auch die Auseinandersetzung mit: Ist es wirklich noch das, was ich möchte? Ich habe mir zahlreiche Stellenausschreibungen durchgelesen - auch in Quereinsteiger berufen, mit Freunden gequatscht, die in anderen Tätigkeitsfelder arbeiten und leider schnell gemerkt: No way. Da reizt mich ja mal gar nichts dran - aber hey! Vielleicht bin ich auch noch nicht auf das richtige Feld gestoßen.
Weiterbildungen und andere Tätigkeitsfelder. Der soziale Beruf ist zum Glück so weitreichend. Vielleicht lohnt es sich ja für dich auch in die Jugendhilfe, Schulassistenz, etc. hineinzuschnuppern? Ein Teilzeitstudium anzunehmen? Beratende Tätigkeiten auszuführen? Was ist es was dir gerade noch an deinem Beruf gefällt und was müsste sich ändern um es allumfassend erfüllend zu gestalten?
Die Möglichkeit, nur Teilzeit zu arbeiten. Einige meiner Kolleg:innen haben diese Möglichkeiten und berichten, dass sie dadurch eine bessere Work-Life- Balance hinbekommen. Aber ist eben auch nicht für jeden möglich und man sollte sich auch im Klaren sein, was es für Auswirkungen auf die Renteneinzahlung, etc. hat.
Abstand gewinnen und Aufgaben abgeben. - ich nehme mir leider auch vieles zu Herzen. Fühle mich sehr schnell für die Befindlichkeiten der anderen Zuständig und das, obwohl sie einfach nur ihren Frust loswerden möchten, der sie belastet - ohne, dass es vorrangig mit mir selbst und der Aufgabe etwas daran zu ändern zu tun hat. Auch eine Aufgabe mal gut sein zu lassen fällt mir schwer. Arbeit ist Arbeit. Privat ist Privat. Schwer, wenn man am liebsten an einem Tag die Welt verändern möchte.. ;> Weniger ist oft mehr. Knallt euch die Wochen nicht mit täglich wechselnden Projekten zu.
Manchmal braucht es vielleicht einfach ein offenes Ohr, das die Gegebenheiten und die Umstände versteht. Oft hilft es sich auch sehr, sich die Dinge von der Seele zu reden, auf Verständnis zu stoßen und sich nicht alleine zu fühlen. Natürlich ist dieser Belastungszustand allerdings auch keine Dauerlösung. Da braucht man dann vielleicht doch den kleinen Funken Mut zur Veränderung und den Kopf, der die Versagensängste auf die Seite drängt.
Fühl dich gedrückt, du bist nicht alleine! <3
- vladimir nabokov