Diskussion und Philosophie | Ist Recht immer gleich Gerechtigkeit?
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Re: Diskussion und Philosophie | Ist Recht immer gleich Gerechtigkeit?
von Badangel19 am 19.10.2021 20:54Wie bereits oben erwähnt sind für mich Recht und Gerechtigkeit zwei gegenteilige Dinge. Es sind schon viele gute Beispiele genannt worden, doch nun möchte ich ebenfalls eines nennen, welches die gesellschaftliche Spaltung der beiden Themen noch einmal genauer beleuchtet.
Ein alter Mann welcher sein ganzes Leben lang hart gearbeitet hat, jedoch nie eine Ahnung von Rediten und den Richtigen Anlagemöglichkeiten hatte, bekommt aufgrund dessen eine , minimale Rente, die zum Leben nicht reicht. Genauso wie seine Frau, die sich ihr Leben lang um ihre Kinder kümmerte und ihren Mann im Haushalt unterstützte. Ein nicht untypisches Bild, der älteren Gesellschaft. Nun leiden beide an Altersarmut und kommen mit ihrer mickrigen Rente kaum über die Runden. Ihr so hart erarbeitetet Haus mussten sie verkaufen um in einer kleinen Wohnung zu leben ( das ist noch ein schönes Bild, es gibt viele , denen es deutlich schlechter geht. ) er muss stelen oder Flaschen sammeln um sich und seine Frau Ernähren zu können. Wohingegen der junge Mann, welcher Glück bei einer Auslosung einer höheren Macht hatte und in eine reiche Familie hineingebeten wurde, nie arbeiten gehen muss, sich nie Gedanken um seine Rente machen muss. Was ist daran gerecht ? Wenn der alte Mann stiehlt begeht er eine Straftat, muss Strafe zahlen, dafür das er sich und seine Frau ernähren möchte und dafür nicht im Dreck wühlen möchte. Geht er an Mülltonnen begeht er ebenfalls eine Straftat. Wohingegen der junge Mann ( sein Glück sei ihm gegönnt) nie solche Probleme haben wird, obwohl er viel weniger für diese Geselschaft getan hat. Rechtlich ist es eindeutig. Der alte Mann macht sich mit Containern strafbar, der junge Mann mit seinem Reichtum nicht, doch wirklich gerecht ist es sicher nicht.
Re: Diskussion und Philosophie | Ist Recht immer gleich Gerechtigkeit?
von Anticonformist am 19.10.2021 20:18Erst einmal möchte ich festhalten, dass ich es wirklich super finde, dass die Diskussionen beibehalten werden! Ich hätte mich gerne schon zu den vorherigen, wirklich spannenden Diskussionen geäußert, nur war es mir bislang aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen.
Dennoch nochmals vielen Dank an dich, @DiskussionenunPhilosophie, für die Einführung einer RSH-Diskussions-Tradition.
Zum eigentlichen Thema: Ich musste offen gestanden etwas schmunzeln, als ich diese Frage gelesen habe. Warum? Ich versuche es mal mit einigen Beispielen zu untermauern:
Im römischen Recht (und auch anderen Rechtsordnungen!) war der Sklave nicht mit einer Person gleichzustellen (keine Rechtsfähigkeit), sondern wie eine Sache zu behandeln – sprich, man konnte an ihm Eigentum erwerben, ihn veräußern, schlagen, töten, vergewaltigen - um es mit den Worten des § 903 BGB auszudrücken: „damit" tun und lassen was man will.
Wie wäre es nun mit etwas „Kodifizierterem“?:
Vom 15. September 1935
Durchdrungen von der Erkenntnis, daß die Reinheit des deutschen Blutes die Voraussetzung für den Fortbestand des deutschen Volkes ist, und beseelt von dem unbeugsamen Willen, die deutsche Nation für alle Zukunft zu sichern, hat der Reichstag einstimmig das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird.
§ 1
(1) Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes sind verboten. Trotzdem geschlossene Ehen sind nichtig, auch wenn sie zur Umgehung dieses Gesetzes im Auslande geschlossen sind.
(2) Die Nichtigkeitsklage kann nur der Staatsanwalt erheben.
§ 2 Außerehelicher Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes ist verboten.
§ 3 Juden dürfen weibliche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes unter 45 Jahren nicht in ihrem Haushalt beschäftigen. [...]
Oder etwas „Aktuelleres":
(1) Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft.
(2) Bei einem Beteiligten, der zur Zeit der Tat noch nicht einundzwanzig Jahre alt war, kann das Gericht in besonders leichten Fällen von Strafe absehen.
In der letzten Fassung, bis zum 11. Juni 1994:
(1) Ein Mann über achtzehn Jahre, der sexuelle Handlungen an einem Mann unter achtzehn Jahren vornimmt oder von einem Mann unter achtzehn Jahren an sich vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn
1. der Täter zur Zeit der Tat noch nicht einundzwanzig Jahre alt war oder
2. bei Berücksichtigung des Verhaltens desjenigen, gegen den sich die Tat richtet, das Unrecht der Tat gering ist.
*hust* Traurige Sidenote *hust*: Das BVerfG hat das „damals“ noch mit Art. 3 GG als vereinbar angesehen. (vgl. BVerfG, Urteil vom 10.05.1957, Az. 1 BvR 550/52 und nochmals bestätigt 1973 in BVerfG, Beschluss vom 02.10.1973, Az. 1 BvL 7/72).
Schwangerschaftsabbruch (selbst bei Fahrlässigkeit) in manchen Ländern = Mord
Todesstrafe in einigen Ländern = legitim
Und, und, und...
(Die Liste ist lang.)
Ich glaube gerade an dem Umstand, dass eines der höchsten Gerichte Deutschlands (und auch andere Gerichte anderer Rechtsordnungen) sowas noch als mit dem geltenden Recht (mit der Verfassung!) vereinbar gesehen hat und erst aufgrund des gesellschaftlichen Wandels der Gesetzgeber im vorangegangenen Beispiel den § 175 StGB (a.F.) aufgehoben hat, zeigt recht deutlich, wo die Schwächen des Rechts liegen. Recht unterliegt immer (und ZUM GLÜCK) den gesellschaftlichen Vorstellungen. Zum Glück deshalb, weil es damit nicht „versteinert“. Zum Ärgernis, wenn dieses Recht bspw. nicht der Vorstellungen Einzelner entstpricht. Recht ist (je nach Rechtsordung) entweder „Mehrheits-Recht“ oder einfach nur „Diktator-Recht“. Wenn man nicht zur Mehrheit gehört und diese Mehrheit die Gesetze schafft - ist das dann ungerecht? Wenn ein Diktator Ermächtigungsgrundlagen zu seinen eigenen Gunsten schafft und für all seine Handlungen damit eine Rechtsgrundlage hat (*hust* kommt das jemanden bekannt vor) - ist das dann gerecht?
Wir müssen Recht aber auch nicht zwingend mit Gesetzen (ob förmlich oder materiell) gleichstellen, sondern wie auch @Badangel19 bereits aufgeführt hat, gehören auch Verhaltensnormen dazu. Was sich damals nicht gehörte (Mädchen mit kurzen Haaren, Frauen in Hosen, etc.) ist/kann heute Normalität sein. Ich glaube, man weiß, worauf ich hinaus will. x)
Um endlich zum Punkt zu kommen: Nein. Recht muss nicht immer mit Gerechtigkeit einhergehen. Zumal auch Recht haben und Recht bekommen wieder ein anderes Paar Schuhe sind. Ist das nicht traurig (aka. ungerecht?)?
Ok, das war's nun wirklich. ♥

Re: Diskussion und Philosophie | Ist Recht immer gleich Gerechtigkeit?
von Herr_Nacht am 19.10.2021 17:18Und das Recht biegsam sein kann und nicht unbedingt Ausdruck eines höheren, moralischen, allgemeingültigen Ideals sein muss, zeigt vielleicht auch ein zweiter Satz, den Angela Merkel mal gesagt hat.
Stephen King
Re: Diskussion und Philosophie | Ist Recht immer gleich Gerechtigkeit?
von Badangel19 am 18.10.2021 14:21Recht und Gerechtigkeit sind zwei völlig verschiedene Dinge . Recht, das sind alle Regeln (Normen), denen wir im Sinne eines Gemeinwohls unterliegen. Gemeint sind Gesetze (in jeglicher Form) und Verhaltensregeln, die in der Gemeinschaft als verbindlich akzeptiert und befolgt werden.Gerechtigkeit ist dagegen ein Maßstab für das individuelle Verhalten von Menschen. Es geht – auch wieder verkürzt – darum, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt wird. Dementsprechend verweist das Kundmachungspatent zum (heute noch geltenden) ABGB aus dem Jahre 1811 auf die allgemeinen Grundsätze der Gerechtigkeit, die als notwendig angesehen werden, um den Bürgern volle Beruhigung über den gesicherten Genuss ihrer Privatrechte zu verschaffen. Die Existenz einer unabhängigen Justiz und fairer Verfahrensregeln ist die Voraussetzung für Gerechtigkeit und die Vermeidung von Selbstjustiz. Dementsprechend garantiert Artikel 6 der Menschenrechtskonvention das Recht auf ein faires Verfahren und lautet wie folgt:
Re: Diskussion und Philosophie | Ist Recht immer gleich Gerechtigkeit?
von NYxUlric am 18.10.2021 11:11Nein, Recht ist nicht gleich Gerechtigkeit. Du magst bei einem Ding vielleicht Recht haben, aber das gericht kann dir da ganz schnell einen Dämpfer verpassen, weil dein recht vielleicht für den anderen nciht richtig ist, also keine Gerechtigkeit. Nicht mal für beide Seiten, meistens gibt es dazu aber auch für beide Seiten einen Dämpfer.
Also Recht bekommen tun wir, auf die ein oder andere Weise, aber von gerechtigkeit würde ich jetzt nicht sprechen. Mein Bruder hat einmal angefangen Jura zu studieren, einmal im Leben, er wollte das. Kam aber nciht klar, was die ganzen Schlupflöcher angeht, weswegen er dieses Studium an den Nagel hing. Es ist also schwer zu sagen, wenn Recht gesprochen wird, das es auch gerecht ist.
Diskussione...
Gelöschter Benutzer
Diskussion und Philosophie | Ist Recht immer gleich Gerechtigkeit?
von DiskussionenunPhilosophie am 18.10.2021 10:38Das wichtigste zuerst: natürlich gelten auch hier die allgemeinen Regeln von Rollenspielhimmel, wer sie nicht mehr weiß bitte hier nachlesen.
Zusätzlich zu beachten gilt, dass wer sich nicht an die Regeln hält von der aktuellen Diskussion und der darauffolgenden gesperrt wird.
Das Thema der Woche wird immer in einem neuen Thread am Montagvormittag gepostet. (Sollte ich nicht verschlafen.)
Wer Vorschläge für ein neues Thema hat, bitte gerne an diesen Account schicken. ich werde sie sammel und das gefragteste Thema für die kommende Woche auswählen. Sollte es keines geben, entscheidet der Zufall. Alle alten Themen findet ihr per Link in meinem Blog, damit ihr jeder Zeit nachlesen könnt, was alles geschrieben wurde.
Diese Woche solle es um die Frage gehen ob Recht immer gleich Gerechtigkeit ist.